Das Treffen unserer Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV) am Dienstag dieser Woche zeigte, wie sich unser Bündnis weiterentwickelt: Erstmals war mit Leonie Gebers eine Staatssekretärin zu Gast, zudem der stellvertretende Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Bundestages, Dr. Matthias Heider.
Auf die jeweils 90-minütigen Gesprächsrunden folgte eine interne Nachbesprechung. Außerdem berichteten die Mitglieder unserer Arbeitsgruppe zum Thema (Schein-)Selbstständigkeit über ein von ihnen erarbeitetes Papier, das wir euch – und in der Folge auch diversen Fachpolitikern – vorstellen wollen, um die Diskussion zum Thema Rechtssicherheit neu zu beleben.
Reform der Arbeitslosenversicherung für Selbstständige?
StS Gebers, die im Bundesarbeitsministerium für Arbeitslosengeld I und II zuständig ist, sieht sich am Beginn eines Dialogs zu einer Reform der Arbeitslosenversicherung für Selbstständige. Des Pudels Kern sei dabei, wie man den Versicherungsfall definieren könne: Aufgabe der Selbstständigkeit? Ausfall von Aufträgen? – Diesbezüglich gäbe es viel größere Unterschiede zwischen Selbstständigen und Arbeitnehmern als etwa bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit einer weiteren Öffnung der ansonsten unveränderten Arbeitslosenversicherung für Selbstständige sei es nicht getan. Sie würde deshalb sogar über ein getrenntes System für Selbstständige nachdenken.
Wir wiesen auf Basis einer 2019 auf der VGSD-Website hierzu geführten Diskussion darauf hin, dass erfahrene Selbstständige Leistungen bei Auftragslosigkeit selbst am kritischsten sehen würden. Bevor man ein eigenes System schaffe, solle man aber die Einnahmen und Belastungen der bestehenden freiwilligen Arbeitslosenversicherung einmal nachkalkulieren, das war bisher von der Bundesagentur für Arbeit bei Kleinen Anfragen von Abgeordneten als nicht möglich bezeichnet worden.
Arbeitslosenversicherung hat Selbstständigen in der Corona-Krise nicht geholfen
Ganz sicher aber hätte eine Arbeitslosenversicherungspflicht den Selbstständigen in der Corona-Krise nicht geholfen, denn die versicherten Selbstständigen hätten ja trotz gleicher Beiträge keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld gehabt. Das Arbeitslosengeld I sei ihnen verweigert worden, wo sie – ohne einen Euro zu verdienen – mehr als 15 Wochenstunden investiert haben, um ihr Unternehmen zu retten, zugleich seien sie dann für das Arbeitslosengeld II gesperrt gewesen. Vor einer Ausweitung der Arbeitslosenversicherung stehe eine Reform auf der Leistungsseite und auch die Beiträge müssten fairer ausgestaltet werden. Im Fall längerfristiger Berufsverbote müssten vielmehr Entschädigungen nach dem Infektionsschutzgesetz bezahlt werden, hier bestehe eine Regelungslücke.
Gründer und etablierte Selbstständige haben unterschiedliche Bedürfnisse
Wir erklärten, dass für Selbstständige eine Absicherung vor allem in der Gründungsphase wichtig sei. Später hätten die meisten etablierten Selbstständigen – wenn nicht gerade Berufsverbote verfügt würden – ausreichend Selbstvertrauen, um auch ohne eine solche Absicherung auszukommen bzw. würden sie seltener in Anspruch nehmen. Die Einführung der Arbeitslosenversicherung für Selbstständige sei die Folge einer Leistungseinschränkung gewesen: Früher habe man im Falle eines Scheiterns einer mit Gründungszuschuss geförderten Gründung in den bestehenden, ungekürzten Restanspruch an Arbeitslosengeld I zurückkehren können. 2006 begann man damit, den Gründungszuschuss mit dem Arbeitslosengeld I zu verrechnen, so dass nach der Gründungsphase kein oder nur noch ein kurzer Restanspruch vorhanden war. Deshalb wollte man den Gründern die Möglichkeit geben, wenigstens einen neuen Anspruch aufzubauen.
Die Staatssekretärin nahm das mit den Worten auf: „Einen Gedanken würde ich gerne als Leitlinie mitnehmen, dass wir die Gründungsphase anders betrachten als einen späteren Zeitpunkt.“
Wir haben noch einmal klargestellt, dass das aber nicht so verstanden wird, dass man in der Anfangszeit einfach nur einen ermäßigten Beitrag hat, der später dann erhöht wird (so ist es jetzt), sondern wirklich der jeweiligen Gründungsphase entsprechend angemessene Leistungen angeboten werden. Auf keinen Fall dürfen weitere zusätzliche Belastungen eingeführt werden, bevor nicht eine übermäßige Belastung in anderen Bereichen, wie etwa der Krankenversicherung abgebaut wurden.
Weitere Diskussionsthemen
Wir erklärten, warum die Belastung von Selbstständigen höher ist als bei Angestellten (Bemessungsgrundlage, Mindestbeiträge) und diskutierten eingehend auch über das Thema Scheinselbstständigkeit.
Natürlich gingen wir auch auf die „vereinfachte“ Grundsicherung ein und konfrontierten StS Gebers damit, dass nur etwa 10 Prozent der betroffenen Selbstständigen diese Hilfe erhalten. Sie antwortete, verteidigte erwartungsgemäß das Instrument und verwies u.a. auf eine neue Hotline der Bundesagentur für Arbeit, die sich um „schwierige Fälle“ kümmere, bei denen die Vereinfachungen nicht sachgerecht berücksichtigt würden, insbesondere Freibeträge für die Altersvorsorge und Vermögen. Wenn es da Probleme gäbe, könnten wir als Verbände uns direkt an sie bzw. ihre Mitarbeiter wenden.
Gebers hat übrigens auch in ihrem eigenen Umfeld Erfahrungen mit Selbstständigkeit. Ihr Mann sei selbstständiger Gastronom gewesen, ihre Schwester sei freiberufliche Designerin.
Matthias Heider: Gespräch mit selbstständigem Rechtsanwalt über Rechtssicherheit für Selbstständige
MdB Dr. Matthias Heider ist nicht nur stellvertretender Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses sondern auch im Bundesvorstand des MIT, der Wirtschaftsvereinigung der Union. Er kandidiert im Herbst nach 12 Jahren Amtszeit nicht mehr für den Bundestag, sondern wird sich wieder als selbstständiger Rechtsanwalt im Sauerland betätigen. Seine Aufgabe im MIT werde er aber behalten.
Als Rechtsanwalt ist sein Bild von Selbstständigen natürlich in erheblichem Umfang von kammerpflichtigen Freiberuflern geprägt, auch hat er viele Kontakte mit anderen kammerpflichtigen Berufen wie den Handwerkern.
Er zeigte aber großes Interesse an unseren Problemen als „ganz normale“ Soloselbstständige, die auch oft freiberuflich, aber eben nicht „verkammert“ sind. Das Verhalten der Deutschen Rentenversicherung und die Auswirkungen der bestehenden Rechtsunsicherheit in Hinblick auf Scheinselbstständigkeit, aber auch Freiberuflichkeit war ein wichtiges Thema der Diskussion.
Zu unserer Frage, wie wir als Soloselbstständige mehr Beachtung für unsere Anliegen erreichen könnte, machte er pragmatische Vorschläge und stellte uns einen weiteren Austausch zu uns betreffenden Themen in Aussicht.